8 Dinge, die ich bei der Entwicklung von Thalara gelernt habe

(The English version of this article is available on BoardGameGeek)

Wer mein Entwicklertagebuch gelesen hat, der ahnt es schon: Ich habe bei der Arbeit an Thalara eine Menge über Spieldesign gelernt. Die wichtigsten 8 Punkte habe ich für euch zusammengefasst.

1: Jede Idee war schon mal da

Ob Siege Storm oder Dominion: Ähnlichkeiten mit anderen Spielen darf man spüren.

Klar, natürlich soll das neue Spiel einzigartig sein. Aber das ist gar nicht so einfach: Jedes Thema, jede Spielmechanik, alles war auf irgendeine Weise schon mal da. Das Problem dabei: Jedes Jahr erscheinen unendlich viele neue Spiele, und es ist nahezu unmöglich, sie alle zu kennen – geschweige denn, sie alle zu spielen. Also habe ich jedesmal, wenn ein neues Spiel Gemeinsamkeiten mit Thalara hatte, wieder alles über den Haufen geworfen. Dabei ist das gar nicht nötig, solange es trotzdem genug einzigartige Elemente gibt. Es gibt auch schon unzählige Love-Songs da draußen, trotzdem landen jedes Jahr wieder welche in den Charts. Diese Erkenntnis hat mich sehr viel Zeit gekostet – mach nicht den gleichen Fehler! Thalara ist ein wirklich einzigartiges Spiel, aber Gemeinsamkeiten finden sich überall. Thalara ist wie Smash Up, aber fast ohne Glücksfaktor. Thalara ist wie Magic: The Gathering, aber viel einfacher. Thalara ist wie Dominion, aber ohne Deckbuilding (wie ist das überhaupt möglich?).

2: Einschränkungen machen kreativ…

Wenn ich mal nicht weiterkomme, hilft mir diese Technik: Wie würde ich das Problem lösen, wenn ich nur bestimmte Komponenten zur Verfügung hätte? Zum Beispiel: Kein Spielbrett? Keine Spielsteine? Nur eine bestimmte Anzahl Karten? Was wäre, wenn die Anleitung auf eine Seite passen müsste? So wird man gezwungen, neue Wege zu finden und Altbekanntes in Frage zu stellen. Was ist eigentlich die Essenz eines Deckbuilding-Spiels und funktioniert das vielleicht auch, wenn man das gesamte Deck auf der Hand hat? Bei Thalara habe ich diese Einschränkungen auf die Spitze getrieben: Fast alle Komponenten habe ich mit der Zeit rausgeworfen, um das Wesentliche herauszudestillieren.

3: …und schränken ein

Ein Spiel aus nur 18 Karten? Interessante Herausforderung, aber nicht immer hilfreich.

Das ist eigentlich offensichtlich: Selbst auferlegte Einschränkungen kurbeln nicht nur die Kreativität an, sie erschweren die Lösungsfindung auch enorm. Deswegen ist es sinnvoll, nicht zwanghaft an jeder Einschränkung festzuhalten. Natürlich ist es super, wenn ein Spiel ganz ohne Ressourcen auskommt und dabei dieselbe Wirkung entfaltet. Aber wenn das Spiel besser wird, wenn man Ressourcen hinzufügt: Go for it! Die Einschränkung darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Am Ende wollen wir ein super Spiel spielen, egal was dafür nötig ist. Bei Thalara hatte ich mir fest vorgenommen, höchstens 36 Karten zu verwenden. Das hatte neben der kreativen Wirkung auch einen ganz praktischen Grund: Ich wollte die Produktionskosten niedrig halten. Gerade bei einer kleinen Auflage ein wichtiger Punkt. Und ja, ich hatte eine wunderbare Lösung, die mit 36 Karten auskommt. Aber: Am Ende wurde das Spiel mit mehr Karten eben noch besser.

4: Perfektion steht im Weg

Ein Spiel, das niemals fertig wird, nutzt niemandem etwas. Und das Geheimnis ist: Es gibt immer etwas, das man verbessern könnte. Ich weiß nicht, ob ich mit meinem Perfektionismus da einfach ein Extremfall bin oder ob es allen so geht, aber: Egal wie zufrieden ich heute mit meinen Ideen bin, morgen fällt mir ein, was ich noch besser machen könnte. Und dann passt wieder nichts mehr zusammen und ich fange von vorne an. Bei Thalara musste ich irgendwann lernen, dass kleine Verbesserungen völlig in Ordnung sind, aber man nicht immer wieder bei null anfangen darf. Dabei hilft, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und eine großartige neue Idee gegebenenfalls einfach für das nächste Spiel aufzuheben. Mir hilft es, all diese Ideen einfach aufzuschreiben. Sie sind ja nicht verloren!

5: Testspieler liefern Probleme, keine Lösungen

Testspieler sind unendlich wertvoll – aber nur, wenn man die Ergebnisse zu nutzen weiß.
(Bremer Spiele-Tage 2020, Wredespiele)

Manche Testspieler wissen ziemlich genau, was sie an einem Spiel stört. Vielleicht dauert das Spiel zu lange, vielleicht ist es zu kompliziert, vielleicht ist es unfair. Und bestimmt haben sie auch ganz viele Ideen, wie man die Probleme lösen könnte. Meistens sind das die naheliegendsten Lösungen: Wenn ein Spiel zu lange dauert, dann müssen eben weniger Karten in den Ziehstapel. Aber die einfachen Lösungen sind selten die besten. Besser ist es, sich die Kritik der Testspieler erstmal in Ruhe anzuhören, und dann darüber nachzudenken, wo der Kern des Problems liegt. Vielleicht dauert das Spiel zu lange, weil die Entscheidungen nicht intuitiv sind? Sind es wirklich zu viele Runden oder dauern die einzelnen Spielzüge zu lange? Und wenn du dann eine Lösung hast: Teste sie erstmal für dich allein, bevor du sie wieder auf die Tester loslässt. Bei Thalara habe ich oft den Fehler gemacht, als Antwort auf berechtigte Kritik laut zu denken und meine Lösungsansätze zu diskutieren. Aber wenn sich Tester gerade an eine bestimmte Spielregel gewöhnt haben, fällt es manchmal schwer, sich gedanklich davon zu lösen. Dann kann es sinnvoll sein, erstmal mit einer anderen, unvoreingenommenen Testgruppe weiterzumachen. Oh, ja, und den gleichen Fehler machen wir Autoren natürlich genauso, wenn wir ein Spielelement liebgewonnen haben. Das bringt uns direkt zum nächsten Punkt:

6: Streamlining ist wichtig

Diese eine Spielregel, die das Spiel am Anfang so besonders gemacht hat, die kann auf keinen Fall verschwinden. Bei Thalara gab es lange, sehr lange, einen “Farbjoker”. Er hatte eine sehr niedrige Stärke, konnte dafür aber als jede Farbe eingesetzt werden. Der Farbjoker war total super: Er eröffnete eine neue strategische Option, machte das Spiel weniger unberechenbar, und die Testspieler liebten ihn. Es dauerte wirklich lange und erforderte eine Menge Überwindung, die Karte aus dem Spiel zu entfernen. Und tatsächlich: Das Spiel hatte sich seit der Erfindung des Farbjokers so stark verändert, dass er gar nicht mehr nötig war. Und wenn ein Spielelement das Spiel nicht wesentlich besser macht, dann gibt es eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Wie sehr verkompliziert das Element das Spiel und wie viel besser wird das Spiel dadurch? Der Farbjoker verlängerte die Spielregeln um einen ganzen Absatz, bei nahezu gleichbleibendem Spielspaß. Schlimmer noch: Der Farbjoker führte immer wieder zu Fragen und Unklarheiten bei einer ganzen Reihe von Zaubersprüchen. Zählt er zum Beispiel immer als alle Farben gleichzeitig, selbst wenn ich das gerade gar nicht gebrauchen kann? Solche Elemente sind ja auch nicht verloren: In einer gut durchdachten Erweiterung könnte der Mechanismus wieder einen Platz finden, im Basisspiel hat er aber nichts verloren.

7: Balancing ist nie objektiv

Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu verstehen: Wie kann Balancing denn nicht objektiv sein? Wenn ein Spielcharakter besser ist als ein anderer, wenn eine Fähigkeit oder eine Karte besser ist als eine andere, dann ist das ein Balancingproblem. Und wenn zwei Spielelemente genau gleich stark sind, dann ist das Balancing doch objektiv gut, oder nicht? So einfach ist es nicht. Auf Spielemessen, bei denen die Tester oft nur eine oder zwei Runden spielen, wurde das Balancing von Thalara immer wieder kritisiert. Da hilft es auch wenig, wenn ich den Testern glaubhaft versichern kann, dass man mit jedem Charakter gegen jeden anderen Charakter zuverlässig gewinnen kann, solange man besser als der Gegner spielt. Was zählt, ist das gefühlte Balancing. Und die Herausforderung liegt darin, Anfängern und Profis gleichermaßen das Gefühl zu vermitteln, dass das Spiel und seine Teile gut austariert sind. Das ist natürlich nicht immer machbar, manche Feinheiten kann man in den ersten Runden nicht voll durchblicken. Dann ist es wichtig, dass Anfänger zumindest lang genug am Ball bleiben, um eine Gefühl für die Tricks zu entwickeln. Und damit kommen wir fließend zum letzten Punkt:

Myrja gegen Kandhran: Wenn beide Spieler gleich gut sind, gewinnen beide Charaktere ungefähr gleich oft. Beim allerersten Spiel kann es sich trotzdem unfair anfühlen. (Thalara, Wredespiele)

8: Der Spaß steht im Vordergrund

Wir haben alle unterschiedliche Erwartungen an ein Spiel. Manche wollen eine strategische Herausforderung, die sich im stundenlangen Konflikt langsam aufbaut. Manche wollen ein kurzes, unberechenbares Chaos. Eine lustige Partie mit netten Menschen, bei der man sich gut unterhalten kann. Insofern gibt es an dieser Stelle natürlich keinen allgemeingültigen Rat. Aber eine Sache habe ich bei der Entwicklung von Thalara doch gelernt: Wenn es keinen Spaß macht, ist es am Ende auch nichts wert. Wie viel Spaß wir beim Spielen haben, hängt auch wieder von ganz vielen Faktoren ab, die für jeden unterschiedlich gewichtet sind: Interessante Entscheidungen, erlebte Selbstwirksamkeit, Spannung oder überraschende Aha-Momente. Ein wichtiger Faktor ist aber oft die Lernkurve. Das heißt nicht, dass das Spiel einfach sein muss und genauso wenig, dass es unendlich viel Raum für taktische Verbesserung geben muss. Aber das Spiel muss an jedem Punkt des Prozesses Spaß machen: Beim allerersten Spiel genau wie bei Runde 1000. “Easy to learn, hard to master”, wird das oft genannt. Ich formuliere es lieber so: Fun to learn, fun to master. Das Spiel sollte auch Spaß machen, bevor ich die Texte von 200 verschiedenen Karten auswendig gelernt habe. Und es sollte auch dann noch Spaß machen, wenn ich das Spiel in- und auswendig kenne. Bei Thalara habe ich versucht, genau das zu erreichen. Ich hoffe, es ist mir gelungen – wenigstens für einen Teil von euch.

Wenn du mehr über den Entstehungsprozess von Thalara erfahren möchtest, lies doch auch mein Entwicklertagebuch. Auf Thalara.de gibt es mehr Infos über das Spiel und eine kostenlose Version zum Ausprobieren! Was sind deine wichtigsten “Lessons learned”? Fällt dir noch etwas zu den genannten Punkten ein?

Evolution eines Spiels: Kann es das perfekte Spiel geben?

(The English version of this article is available on BoardGameGeek)

Also, lasst uns erstmal das Offensichtliche aus dem Weg schaffen: So etwas wie Perfektion gibt es im Spieldesign nicht. Jede und jeder hat unterschiedliche Vorlieben; ein Spiel, das du auf keinen Fall anfassen würdest, kann das Lieblingsspiel einer anderen Person sein. Natürlich, die Vorlieben unterscheiden sich zu stark: Vielleicht magst du einfache Spiele, vielleicht würfelst du gern, vielleicht brauchst du eine epische Schlacht ohne jeglichen Glücksfaktor. Kein Spiel kann es allen Recht machen. Folgerichtig war ich mit Thalara nicht auf der Suche nach einem Spiel, das überall gleichermaßen beliebt wäre, sondern nach dem perfekten Spiel für meinen eigenen Spielegeschmack. Ich habe in der Vergangenheit hunderte verschiedene Spiele gespielt, und keins davon konnte mir geben wonach ich suchte, auch wenn einige nah dran kamen. Was ich wirklich wollte war ein vielschichtiges Kartenspiel mit niedrigem Glücksfaktor, dass ich mit meiner Frau spielen kann, wenn die Kinder uns zwischendurch mal ein bisschen Zeit lassen.

Ich mag Deck Building, sowohl vor dem Spiel wie bei Magic: The Gathering, als auch in der Variante, die Dominion berühmt gemacht hat. Aber M:tG, eines der besten Spiele meiner Vergangenheit, leidet unter so vielen Dingen, die man heute wohl als Designfehler bezeichnen würde, dass ich es nicht mehr spielen mag. Dominion dagegen ist ein tolles, solides Spiel, aber es gibt zwei Dinge, die ich daran nicht mag: Es ist einfach zu viel Glück dabei, wenn es darum geht, die passenden Karten gleichzeitig auf die Hand zu bekommen, und es gibt quasi überhaupt keine Interaktion. Mir war klar, dass ich ein Spiel wollte, bei dem der bessere Spieler wirklich stark begünstigt ist, und das mehr ist als eine Runde Mehrspieler-Solitär – also ein richtiger Kampf. Außerdem mag ich Eleganz in Spielen. Was heißt das? Ich denke, dass ein Spiel nicht mehr Komponenten und Regeln haben sollte als unbedingt notwendig. Alle Regeln eines Spiels zusammengenommen sollten mehr sein als bloß die Summe ihrer Teile. Nennt es von mir aus Emergenz.

Frühe Prototypen

Thalara V1 Prototyp
Thalara V2 Prototyp

Vor 5 Jahren war es soweit: Mein erster Thalara Prototyp war inspiriert vom Mini-Spiel Tetra Master aus Final Fantasy IX. Man legte Karten auf ein 3×3 Felder großes Spielfeld und versuchte dabei, die gegnerischen Karten zu besiegen. Im Gegensatz zum Vorbild hatte in Thalara jede einzelne Karte eine besondere Fähigkeit, die man einsetzen konnte, um die anderen Karten auf verschiedene Weise anzugreifen. Es gab Karten, die andere Karten verstärkten, sehr komplexe Effekte und einfache Angriffssprüche. Kurz gesagt, es war Magic: The Gathering trifft Tetra Master. In der zweiten Version wurde das Spielfeld größer und ich erlaubte den Einheiten, sich auf dem Feld zu bewegen. Zwei Dinge mochte ich nicht an diesen frühen Versionen: Sie brauchten irgendeine Art von Spielfeld. Gut, ja, man konnte schon auch ohne Spielbrett spielen, aber ich wollte ein Spiel, das sich am Besten anfühlt, wenn es nur mit Karten auskommt. So wenige Komponenten wie möglich, richtig? Und ich wusste, dass ich das hier nur mit Karten hinkriegen würde.

Thalara V3 Karten
Thalara V4 Prototyp

Immer auf dem Weg zur Einfachheit entfernte ich also das Spielfeld und ersetzte es durch “Lanes”, Bahnen, wie in einem MOBA-Spiel wie League of Legends. Die Charaktere bewegten sich entlang der Bahnen vor und zurück. Das funktionierte super ohne ein Spielbrett, weil man die Grenzen zwischen den Bahnen sehr schön aus verschiedenen Geländekarten aufbauen konnte. Ich mochte das Konzept, es funktionierte und es war etwas völlig neues. Aber es gibt ein Problem, wenn man jahrelang an einem Design arbeitet, um das perfekte Spiel zu erschaffen: Andere Spiele kommen auf den Markt. Ein Jahr später war mein Spiel nicht mehr das erste MOBA-Brettspiel, und als dann 2017 noch Siege Storm angekündigt wurde war es meinem Prototypen so ähnlich, dass ich entschied, mein Spiel nochmal zu ändern. Nicht nur, um es wieder deutlich von allen anderen Spielen abzuheben, sondern auch um die – in meinen Augen – größten Schwächen von Siege Storm auszugleichen.

Um andere Spiele herumtanzen –
oder besser nicht?

Thalara war von Anfang an als asymmetrisches Spiel angelegt. Jeder Spieler wählte eine Fraktion mit einzigartigen Stärken und Mechaniken. Ich liebe dieses Konzept. Es gibt einige großartige asymmetrische Spiele da draußen. Sieh dir mal BattleCon, Yomi, oder Codex: Card Time Strategy an. Das sind alles sehr intensive Duell-Spiele mit einzigartigen Charakteren oder Fraktionen. Codex ist eins meiner absoluten Lieblingsspiele und es hat den besten Deck Building – Mechanismus, den ich je gesehen habe, aber es ist im Ganzen nicht besonders elegant, hat überladene Spielregeln, dutzende Schlüsselwörter und man braucht ganze Zeitalter, bis man es auf einem Niveau spielen kann, das ich als “wettbewerbsfähig” bezeichnen würde. Alle drei Spiele kann man auch lässig als Gelegenheitsspiele spielen, aber es macht nicht ansatzweise so viel Spaß. BattleCon und Yomi zum Beispiel fühlen sich auf diesem Niveau einfach nur nach völligem Zufall an. Das wird mit der Zeit besser, aber es ist nicht so leicht Gegner zu finden, die die nötige Zeit investieren wollen. Wonach ich mit Thalara suchte war ein Spiel mit einer angenehmen, motivierenden Lernkurve, bei dem man in jedem Spiel etwas Neues entdeckt. “Leicht zu lernen, schwer zu meistern”, aber das klingt so ausgelutscht und bringt das Ziel auch gar nicht so gut auf den Punkt. Besser: Spaß beim Lernen, Spaß beim Meistern.

Thalara V5 Prototyp
Thalara V6 Prototyp

Ich vereinfachte die Karteneffekte und wurde das Bahnen-Konzept wieder los. Die Spieler legten ihre Karten jetzt direkt an einen von mehreren Konflikten an. Es funktionierte großartig, bis mir jemand nach einigen Monaten voller Testspiele das Spiel Smash Up zeigte. Es fühlte sich ganz ähnlich an, zu ähnlich für meinen Geschmack. Meine größte treibende Kraft, das Spiel wieder und wieder zu ändern, war die Entdeckung anderer Spiele geworden, die in der Zwischenzeit auf den Markt gekommen waren oder die ich vorher einfach nur nicht gekannt hatte. Das ist ganz sicher nicht der beste Ansatz und ich war ziemlich frustriert, sodass ich Thalara einige Zeit auf Eis legte. Bis ich 2018 dann beschloss, es nochmal mit einem anderen Ansatz zu versuchen: Ich versuchte jetzt nicht mehr, in einem Slalom um neue Spiele herum zu tanzen, sondern sah mir genau an, was diese Spiele richtig machten und was ich besser machen konnte. Letztlich fühlte sich Smash Up für mich frustrierend willkürlich an. Ich machte ein paar Experimente mit Gwent-inspirierten Mulligan-Regeln, bei denen man Karten abwerfen und neuziehen konnte, aber ich wusste, dass es eine größere Änderung brauchen würde.

Thalara V7 Prototyp

Das Smash Up – artige Anlegen der Karten behielt ich bei. Aber ich entschied, dass man beim ersten Spiel nicht dutzende Karten und ihre besten Einsatzmöglichkeiten lernen müssen sollte, um eine befriedigende Lernkurve zu erreichen. Außerdem sollte sich schon die allererste Runde intuitiv und fair anfühlen, idealerweise so, als hätte man eine gute Chance zu gewinnen – selbst wenn man gegen einen erfahrenen Gegner in Wahrheit vermutlich keine große Chance hat. Ich reduzierte die Anzahl einzigartiger Karten pro Charakter und ersetzte sie durch allgemeine Energiekarten. Das Spiel fühlte sich dadurch ein bisschen abstrakter an, aber die Sprüche der Charaktere waren immer noch sehr passend und thematisch. Außerdem durchlief man nun wiederholt ein sehr kleines Deck, das Sprüche und Energiekarten enthielt. Man legte Karten an die ausliegenden Artefakte dieser Runde an und versuchte, mit Hilfe der richtigen Farbkombinationen die eigenen Sprüche zu aktivieren. Thalara V7 war immer noch ziemlich weit weg vom heutigen Spiel, aber das war tatsächlich ein echter Durchbruch. Wenn man den Konflikt um eine Karte gewann, wanderte die eroberte Karte ins eigene Deck. Das war einzigartig, elegant und funktionierte einfach: Eine tolle Mischung aus Smash Up, Dominion und Magic. Es war der interaktivste Deck Builder, den ich je gespielt hatte. Mein Lieblingsvorteil: Dadurch, dass Karten auf verschiedene Weise wiederkehrten, brauchte das komplette Spiel für zwei Spieler nur 32 Karten. Für diese Art Spiel wirklich wenig!

Wenn es einfach nicht funktioniert:
Sieh es ein!

Der größte Nachteil dieses Designs: Da man meistens nur ein oder zwei Sprüche zur Zeit auf der Hand hielt, für die man gleichzeitig auch die passende Energie gezogen hatte, war der Entscheidungsraum stark begrenzt. Ich entwickelte eine Mini-Erweiterung, die die Konflikt-Regeln von Runde zu Runde leicht veränderte, aber das löste das Problem nicht wirklich. Die Testspieler beschwerten sich, dass es selten zu wirklich interessanten Psycho-Spielchen kam. Um das Problem zu beheben entfernte ich sämtliche Spruch-Karten aus den Spieler-Decks und platzierte sie stattdessen offen auf dem Tisch. Alle würden jetzt jederzeit Zugriff auf jeden eigenen Spruch haben. Im ersten Moment gefiel meinen Testern die Änderung nicht, aber nach ein paar kleinen Änderungen an der Kartenverteilung wurde offensichtlich, dass es eine riesige Designverbesserung darstellte. Nicht nur, dass sich jetzt niemand mehr Sorgen machen musste, den richtigen Spruch zur richtigen Zeit zu ziehen – man musste sich jetzt auch nicht mehr merken, welche Sprüche die Gegner zur Verfügung haben, denn sie lagen ja direkt vor einem.

Thalara V7.3 Prototyp

Ein Designprinzip, das ich für sehr wichtig halte, ist dieses: Es sollte immer ein guter Spielzug verfügbar sein. Wenn jemand das Gefühl hat, genau zu wissen, was in einer bestimmten Situation zu tun wäre, dann sollte das auch möglich sein. Das heißt nicht, dass jede Aktion jeder Zeit zur Verfügung stehen muss, und schon gar nicht, dass jeder Zug gut sein muss. Das Ziel ist, unverschuldete Situationen zu vermeiden, in denen ich zwar genau weiß, was mein Gegner als nächstes tun wird, aber ich keine Konter-Möglichkeit habe. Sowas ist einfach nur frustrierend. Also führte ich die Konter-Farbe eines Spruches ein. Wenn man eine Energiekarte in dieser Farbe abwarf, konnte man einen bestimmten gegnerischen Spruch blockieren. Das war ein relativ teurer Zug, aber er war es wert – wenn du wusstest, was du tust. Leider führte das aber dazu, dass beim Spiel auf einem hohen Niveau nahezu überhaupt keine Sprüche mehr gespielt wurden. Erfahrene Testspieler waren einfach zu gut, um irgendwem den richtigen Spruch zur richtigen Zeit zu erlauben. Aber bei Thalara ging es doch um die Sprüche. Das war der spaßige Teil! Widerwillig entfernte ich die Konter-Mechanik wieder und sah der Wahrheit ins Auge: Die Spieler würden mehr Freiheit bei der Wahl ihrer Handkarten brauchen. Und das Balancing des Spiels war gerade ein ganzes Stück wichtiger geworden.

Perfektion trifft auf Realität

Ich musste einsehen, dass Perfektion unmöglich zu erreichen war, wenn ich jemals ein Spiel fertigstellen wollte. Und das selbst dann, wenn ich dabei nur meine eigenen Vorlieben im Kopf hatte. Stattdessen entschied ich also, dass ich jetzt nur noch ein bisschen Feinarbeit machen würde um das Spiel dann für fertig zu erklären. Ich änderte die Regeln, sodass die Spieler ihre ersten Handkarten aus dem Deck auswählen durften. Ich verschlankte das Spiel noch ein bisschen, entfernte die Farbjoker, die man als jede beliebige Farbe hatte spielen können, und tatsächlich begann das Spiel, sich richtig gut und rund anzufühlen. Jetzt erweiterte ich langsam meinen Testspieler-Radius, ging zu Spielemessen, Spieleclubs und -cafés. Ich verschickte Prototypen und versuchte so viel nützliches Feedback wie möglich zu berücksichtigen. Besonderer Dank an dieser Stelle an Michael Tabel von Brettspielen.Köln, der sich die Zeit genommen hat, Designprobleme mit mir zu besprechen. Auch an Vivien Mast, meine beste Testspielerin, die mir die Motivation gab, Thalara zu dem Spiel zu machen, das es heute ist, und an meine Frau natürlich, die mir beim Basteln der zahllosen Prototypen half und bei so vielen anderen Dingen. Schließlich begann ich, nach einem Verlag zu suchen, der sich für Thalara interessieren würde.

Thalara V8 Prototyp

An diesem Punkt kam Oliver Schlien auf mich zu. Er sagte, ich sollte aufhören nach Verlagen zu suchen und das Spiel stattdessen mit ihm veröffentlichen. Weil er das Spiel sehr mochte und schon immer seinen eigenen Spieleverlag gründen wollte, erkannte er die großartige Möglichkeit, mit Thalara als erstem Projekt durchzustarten. Es dauerte nicht lange, und wir hatten uns darauf geeinigt, das gemeinsam anzugehen. Oliver erledigte den ganzen Bürokratiekram, und schon war eine neue Firma geboren. Da wir uns auf die Veröffentlichung meiner eigenen Spiele konzentrieren würden, nannten wir den Verlag wredespiele.

Ewig gebunden

Das Ziel war, das Spiel Anfang 2020 zu kickstarten, und das hätten wir wahrscheinlich auch geschafft, wenn ich nicht eine weitere tolle Idee gehabt hätte, die das Spiel noch einmal wesentlich verändern sollte. Ich weiß, ich hatte mir selbst versprochen gehabt, sowas nicht mehr zu machen, aber diese Änderung würde das Spiel richtig besonders und total super machen, also musste ich es einfach tun. Ich hatte einen neuen Mechanismus erfunden: Handgebundene Karten. Ich entfernte das Durchlaufen eines Decks, um Platz für etwas Innovatives zu schaffen. Jede Runde würde man jetzt jede einzelne Karte aus einem persönlichen Kartenvorrat aussuchen. Eine einmal verwendete Karte ging aus dem Spiel. “Handgebunden” bedeutete nun, das Karten, die man durch gewonnene Konflikte an sich gebracht hatte, nicht einfach im Vorrat landen würde, sondern direkt auf der Hand. Mehr noch, sie wäre fest eingeloggt und würde am Ende jeder Runde wieder auf die Hand zurückkehren. Und je mehr Karten an die eigene Hand gebunden waren, desto weniger Karten konnte man noch aus dem Vorrat wählen. Das führte zu zwei sehr interessanten Dynamiken: Erstens musste man wirklich gut überlegen, welche Karten man gewinnen wollte, weil man von nun an gezwungen sein würde, die Karten noch viele Male einzusetzen. Und zweitens würde der Spieler, der die meisten wertvollen Karten gewinnt, von Runde zu Runde schwächer werden, weil er weniger starke Karten frei auswählen konnte. Das ist die Essenz davon, worum es in modernen Deck Building – Spielen eigentlich geht: Die richtige Balance zu finden zwischen Siegpunkten und einem starken Kartenmix. Aber diese handgebundenen Karten machten den ganzen Prozess viel intensiver und weniger glücksanfällig. Du weißt genau, dass du jede einzelne der eroberten Karten von nun an jeden Zug auf der Hand haben wirst! Der neue Mechanismus benötigte mehr Karten als die vorherige Version, aber das war es absolut wert.

Thalara V9 Prototyp

Der Handbindungs-Mechanismus funktionierte so gut, dass wir nebenher begannen, ein Spin-Off Spiel zu entwickeln: Die Tiere von Thalara kam ganz ohne Charaktere und Sprüche aus und ist sehr viel familienfreundlicher. Wahrscheinlich werden wir es nach Thalara veröffentlichen. Unser interner Arbeitstitel des Spiel ist “Spiel des Jahres 2022”. Ja, so zuversichtlich ist Oliver tatsächlich, dass das Spiel die Jury wegpusten wird. 😉

Aber für mich ist das wahre Juwel noch immer das original Thalara Spiel, das wir inzwischen Thalara: Die letzten Artefakte nennen. Wir stellten die kleine Hintergrundgeschichte fertig, die ich um die Welt von Thalara gestrickt hatte: Wie die Magie der Welt schwindet und unsere Helden um die letzten verbliebenen Artefakte kämpfen, um ihre Zauberkraft zu erhalten. Gut, es ist letztendlich nicht das thematischste Spiel der Welt geworden, aber es ist das Spiel, das ich von Anfang an entwickeln und spielen wollte. Wie auch immer, nach der langen Reise freue ich mich sehr, dass Thalara endlich Wirklichkeit wird. Probier es mal aus, es ist vielschichtiger als man denken könnte – und vielleicht wird die Welt von Thalara dich für lange Zeit an sich binden.

Thalara V9.3 Karten

Thalara in the Spiel-Cafe Cologne

The best thing about experienced gamers playtesting Thalara is: There’s always a lot of really useful feedback. In Spiel-Cafe Cologne, Thalara was played a lot. Michael Tabel collected some great suggestions to improve the game. Actually, now it’s time for the last major rule change that will make the game even better and unique! Layout and illustrations are still missing of course.

Bremer Spiele-Tage 2019

Dieses Wochenende habe ich Thalara bei den Bremer Spiele-Tagen vorgestellt und die Resonanz war unglaublich positiv. Auch wenn dem Prototypen noch sämtliche Illustrationen fehlen, kam das Spiel sehr gut an und der Mechanismus wurde immer wieder als elegant und einzigartig gelobt. Danke an die vielen Mitspielerinnen und Mitspieler!

Thalara – mitten im Spiel